Salzburger Nachrichten, 24. Dezember 1992
Auf fremden Höfen im Lungau
Vom Leben der Dienstboten
Erinnerungen von ehemaligen Anstiftkindern, Dienstboten und Einlegern im Gebirge
Von Karl Heinz Ritschel
Eines der interessantesten Bücher auf dem Weihnachtsmarkt ist soeben erschienen. Es ist gleichzeitig eine der wichtigsten Salisburgensien, die geschrieben wurden – gleichzeitig aber auch ein Buch über die Grenzen des Bundeslandes hinaus. Der Hauptschullehrer Peter Klammer aus Mariapfarr im salzburgischen Lungau hat unter dem Titel „Auf fremden Höfen – Anstiftkinder, Dienstboten und Einleger im Gebirge“ dieses lesenswerte Buch herausgebracht. Es ist in der renommierten Buchreihe des Böhlau-Verlages „Damit es nicht verloren geht…“, herausgegeben von Michael Mitterauer und Peter Paul Kloß, erschienen, in der mündliche Geschichtsüberlieferung festgehalten wird.
In den dreißiger Jahren gab es in Österreich noch fast 300.000 Dienstboten, davon waren viele Anstiftkinder, Ziehkinder, die von den meist ledigen Müttern weggegeben wurden, und viele wurden im Alter Einleger, Menschen, die von Hof zu Hof wandern mußten, um dort eine gewisse Zeit Obdach und Verpflegung zu finden.
Peter Klammer hat nun im Lungau, in Mariapfarr, einen Gesprächskreis geleitet, im dem er mehr als zwanzig ehemalige Knechte und Mägde, die sich erinnern konnten, versammelte. Dreißig Gesprächsrunden folgten und enthüllten ein Bild, wie es den Dienstboten zwischen 1900 und 1938 wirklich gegangen ist, wie sie lebten, wie sie litten. Diese von der Geschichte Betroffenen kommen in dem Buch selbst zu Wort. Sie erzählen über ihr Leben und über ihre Erfahrungen. Der Autor hat dazu noch Gemeindeprotokolle, Schul- und Gendarmeriechroniken, Dienstbotenbücher und Einlegerbücheln verwendet, Statistiken erarbeitet und das Buch umfassend dokumentiert.
Die Welt, die Peter Klammer aus der Vergessenheit geholt hat, gibt es nicht mehr. Gott sei Dank, denn da ist nichts, schon gar nichts, von der sprichwörtlichen guten alten Zeit zu finden. Da wurden Menschen wie Inventar behandelt, gleichsam nach dem alten römischen Recht, in dem Sklaven nur Sachwert besaßen.
Wir erfahren von den Dienstboten erster und zweiter Klasse, von der Rangordnung an den Höfen selber, auf denen der „Moar“ der ranghöchste Dienstbote war. Eine ledige Mutter hatte bei der Taufe ihres Kindes die dreifache Gebühr zu entrichten, wie überhaupt die Kirche im wesentlichen auf seiten der Bauern stand. So ein uneheliches Kind wurde meist angestiftet, das heißt, die Mutter mußte für einen Ziehplatz Kostgeld zahlen – und der Bauer hatte später eine billige Arbeitskraft, weil die Kindesmutter oftmals vor der Gemeinde die bindende Erklärung abgeben mußte, das Kind eine bestimmte Anzahl von Jahren auf dem Pflegeplatz zu belassen.
Es sind erschütternde Schicksale, die hier zutage treten. Das Erinnerungsvermögen der alten Menschen ist erstaunlich, und der Autor hat ihre Erzählungen überaus sensibel redigiert und kommentiert, um die unmittelbare, drastische Erzählkraft zu erhalten.
Die Beiträge der Knechte und Mägde sind so ausgewählt, daß sie jeweils zu Stichwörtern passen, wie Gesindedienst, Dienstgeber, späte Heirat und Ehelosigkeit, ledige Mütter und Ziehkinder, Gefühlsleben, Kirche und Religion, Armut und Hunger, von der Kost und vom gerechten Lohn…Zu Beginn des Jahrhunderts waren es etwa 2500 Dienstboten, 1980 wurden nur mehr 20 Landarbeiter im Lungau gezählt.
Es ist nicht möglich, hier auf Details einzugehen. Wer ein Stück Geschichte erfahren will, wie es dieser großen Schar von Mägden und Knechten ergangen ist, der findet hier eine hervorragende Quelle vor. Ich habe das Buch angelesen – und in einer Nacht ausgelesen. Ich konnte es nicht mehr aus der Hand legen.
MITTEILUNGEN DER GESELLSCHAFT FÜR SALZBURGER LANDESKUNDE (1993)
Peter Klammer, Auf fremden Höfen. Anstiftkinder, Dienstboten und Einleger im Gebirge. Damit es nicht verlorengeht…26. Hg. v. Michael Mitterauer u. Peter Paul Kloß. Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 1992.
Mündliche Geschichtsüberlieferungen sind in dieser Reihe festgehalten, der schon mehrere Salzburger Bände angehören, und eben auch in dieser Lungauer Veröffentlichung von verschiedenen Landbewohnern, die dieses Schicksal als mindest bewertete Volksgenossen erlitten haben.
Dienstboten waren seinerzeit – und vor noch gar nicht langer Zeit – vor allem Kinder lediger Mütter, die angestiftet, das heißt zur Aufzucht und zu späterer Arbeitsleistung gegen einen Betrag abgegeben werden mußten. Dieser ganz unangesehene Stand plagte sich ein Leben lang mit elender Bezahlung, konnte nichts oder nicht viel erwerben und landete im Alter wieder auf fremden Höfen als Einleger. Er mußte sich reihum von Hof zu Hof, immer nur auf einige Tage, herumschleppen, um schlecht genug in irgendeinem Winkel des Hauses auf einer miesen Strohschütte armselig dahinzuvegetieren.
Sowohl die ganz triste Situation des Dienstbotenwesens in einem an sich sehr armseligen Bergbauernniveau als auch Einzelschicksale – erzählt von Altersheiminsassen –, werden diese Schilderungen endlich ans Licht der Betrachtung gestellt. Das Problem Dienstboten wird von zwölf Personen, die es selbst erlebt haben, geschildert. Dazu fügt der Herausgeber und Verfasser Statistiken, Gemeindeberichte und –beschlüsse, Pfarrberichte, Schul- und Gendarmerieprotokolle, Dienstboten- und Einlegerbücheln als gewissermaßen eisernes Gesetzkorsett zu diesen Zuständen an. Der Übergang in die NS-Zeit setzte auch hier eigene Gefolgschaftsprobleme.
Mit dieser Reihe der Veröffentlichungen „Damit es nicht verlorengeht“ wird eine neue Seite der volkskundlichen Forschung aufgeschlagen, die einen Blick in dunkle Hintergründe des Volkslebens erschließt.
Friederike P r o d i n g e r